Pfeifengras und Wiesenmahd: Zu Besuch auf einer der artenreichsten Flächen Brandenburgs
Pressemitteilung – Berlin, 24. Juli 2024
Eine extensive Bewirtschaftungsweise zahlt sich aus: Auf den Pfeifengraswiesen rund um den Muhrgraben bei Hennigsdorf nordwestlich von Berlin wachsen 110 Pflanzenarten, die auf der Roten Liste Brandenburgs als „gefährdet bis bedroht“ eingestuft werden.
Wenn sich 40 Leute begeistert zu kleinen Pflanzen hinunterbeugen, dann muss wohl etwas Besonderes zu sehen sein. Auf den Wiesen rund um den Muhrgraben, der durch die Zehdenick-Spandauer Havelniederung fließt, leuchtet förmlich in kräftigem Blau-Lila blühender Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe) zwischen den vielen anderen Blüten heraus und zieht die Aufmerksamkeit einer Exkursionsgruppe auf sich.
Der aus Landwirten, Naturschützern und Verwaltungsmitarbeitenden bestehende Trupp ist hier am 15. Juli 2024 auf Initiative der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg e. V. (FÖL) zu einem Feldtag zusammengekommen. Als Praxispartner sind der Biohof Betula, der Natur Hennigsdorf e. V. und das Landesamt für Umwelt Brandenburg (LfU) vor Ort. Die bewahren in enger Zusammenarbeit die Flächen vor den Toren Berlins, die zu den artenreichsten in ganz Ostdeutschland zählen und auch dem Lungen-Enzian, dieser äußerst seltenen und bedrohten Wiesenblume, ein Habitat bieten.
Seit sieben Jahren betreiben Lisa Querhammer und Sascha Fiedler vom Biohof Betula, der seit Anfang 2024 ein „Demonstrationsbetrieb für Naturschutz in der Landwirtschaft in Brandenburg“ ist, auf den Flächen im FFH-Schutzgebiet „Muhrgraben mit Teufelsbruch“ und in der „Döberitzer Heide“ Naturschutz durch extensive Beweidung und Mahd. Nach ihrem Studium der ökologischen Landwirtschaft und beratender Tätigkeit im Naturschutz und in der Wissenschaft nahmen sie beide die Verantwortung an, diese besonders artenreichen Standorte zu erhalten. Damit beweisen sie, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammen funktionieren.
Rund 350 Schafe und 14 Ziegen werden hauptsächlich als Landschaftspfleger eingesetzt, um die Wiesen und Weiden mager und Gehölze fern zu halten. Die in die landwirtschaftliche Praxis integrierten Naturschutzmaßnahmen des Biohofs Betula sind so vielfältig wie die Flächen selbst. Angefangen bei der Bewirtschaftung der Flächen nach den Kriterien des ökologischen Landbaus setzen Querhammer und Fiedler auf eine bedarfsgerechte Vor- und Nachbeweidung mit Schafen sowie die Umsetzung einer späten ersten Mahd, einer Teilmahd und das Aussparen von Altgrasstreifen.
Das erhält die Lebensräume von bodenbrütenden Vögeln und anderen Tieren, die in vollständig gemähten Wiesen keinen Schutz fänden. Des Weiteren erfolgt ein Verzicht auf Düngung und eine Heumahd mit boden- und faunaschonender Technik. Die Bewirtschaftung zahlt sich aus: Insgesamt wurden auf den Pfeifengraswiesen rund um den Muhrgraben 110 Arten der Roten Liste Brandenburgs gefunden, die von gefährdet bis bedroht eingestuft werden.
Ein besonderes Augenmerk liegt im FFH-Gebiet „Muhrgraben mit Teufelsbruch“ auf dem Erhalt von wertvollen Pfeifengras- und Flachland-Mähwiesen durch eine extensive Bewirtschaftung. Wer eine große Artenvielfalt auf seinen Flächen hat, sollte diese schützen: „Was hier verloren ginge, durch Bewirtschaftungsmängel oder aus anderen Gründen, das käme höchstwahrscheinlich nicht wieder“, bekräftigt Andreas Herrmann (LfU), der für das Monitoring des Schutzgebiets Muhrgraben zuständig ist.
Benannt ist das Wiesen-Biotop nach dem heimischen Pfeifengras, das anders als die meisten Gräser in seinem Halm nur an der Wurzel einen der typischen Knoten aufweist. Damit lässt es sich gut biegen, um einen gewundenen Pfeifenhals zu säubern – ein offensichtlicher Hinweis auf die historische Nutzung der Art. Bis vor hundert Jahren waren Pfeifengraswiesen in Brandenburg weit verbreitet, hauptsächlich auf Niedermoorstandorten und in Urstromtälern.
Doch über die Zeit wurden immer mehr dieser Flächen entwässert und intensiver landwirtschaftlich genutzt, da sich hier fruchtbare Inseln in der sandigen Mark boten. So ist es auch am Muhrgraben, wo der Grundwasserspiegel im Sommer bis auf 180 cm unter Flur fällt. Wünschenswert wären eher 40 cm oder weniger. Der Havelkanal in unmittelbarer Nachbarschaft wurde für die Schifffahrt ausgebaut, kann also auch nicht zur natürlichen Bewässerung der Flächen beitragen.
Martina Wagner (Natur Hennigsdorf e. V.), die die Wiesen hier wie ihre eigene Westentasche kennt, hat allerdings einen alten Auslass in der Kanalwand entdeckt, womit in der Vergangenheit anscheinend bei Bedarf Wasser abgezweigt werden konnte. „Mich juckt es in den Fingern, den mal aufzumachen“, sagt sie lachend, „aber das Wasser- und Schifffahrtsamt gibt keinen Tropfen ab.“ Trotzdem können die Vereinsmitglieder einen Erfolg vorweisen: Bald soll ein erster Wasserstau probeweise in der Mitte des Schutzgebiets wiederhergestellt werden, um zumindest einen Teil der Winterniederschläge im Gebiet zurückzuhalten und den Grundwasserstand dem eines natürlichen Niedermoors näherzubringen.
Der Verein kümmert sich seit über 30 Jahren ehrenamtlich um ausgewählte Restflächen der Pfeifengraswiesen, die durch spezifische Maßnahmen und stetige Hingabe besonders artenreich und in einem sehr guten Erhaltungszustand sind. Hier wird nur eine späte Mahd nach der Samenreife gemacht und jedes einzelne Exemplar seltener Arten kartiert.
Der Erhalt der biologischen Vielfalt durch den Schutz seltener Arten und Biotope hat einen wichtigen gesellschaftlichen Mehrwert. Um nicht nur die Flora, sondern auch die Fauna und den Boden zu schützen, setzen Lisa Querhammer und ihr Team auf ihren Flächen leichte Mähwerke mit Messerbalken ein. Diese funktionieren wie mehrere Scheren mit zwei Schneiden. Die weit verbreiteten Kreiselmäher sorgen dafür, dass durch die kräftige Drehung der Scheibenmesser Insekten und andere Kleinstlebewesen von der Wiese in die Messer gezogen werden. Das wird durch die nachweislich schonendere Mähtechnik des Messerbalkens stark reduziert. Nebenbei sind auch das Schnittbild und das Mahdgut sauberer.
Um auch das Wild und empfindliche Bodenbrüter vor den Messern zu schützen, werden alle Flächen vor der Mahd und noch vor Sonnenaufgang mit der eigenen Drohne oder mit der Drohne des Rehkitzrettung Brandenburg e. V. aus der Luft mit einer Wärmebildkamera abgesucht – ehrenamtlich. Ein weiterer Preis für den Artenschutz heißt jedoch Zeit: Nach der mehrstündigen Rehkitzsuche in der Morgendämmerung fahren die Brielmaier Balkenmäher mit durchschnittlich 5 km/h über die Wiesen – viel langsamer als große Landwirtschaftsmaschinen. „Wir können uns all diese Maßnahmen nur leisten, weil Naturschutz zunehmend honoriert wird und wir dadurch etwas weniger Produktionsdruck haben“, erklärt Lisa Querhammer.
Die Verantwortung für den Artenschutz im Grünland lastet momentan fast alleinig auf den Schultern der Landwirte, die gleichzeitig die Gesellschaft mit guten Lebensmitteln versorgen sollen. Agrarumweltmaßnahmen und Ökoregelungen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU sind aber wichtige Anreizprogramme. So ist beispielsweise das Kennartenprogramm „Ökoregelung 5“ eine ergebnisorientierte Honorierung und motiviert Landwirte, ihre Flächen und die darauf vorkommenden Arten kennenzulernen und mit effektiven Maßnahmen zu pflegen.
Doch das Beispiel vom Muhrgraben zeigt, dass für die Bewahrung besonders biodiverser Flächen viel Engagement und Abstimmung zwischen dem landwirtschaftlichem Betrieb, Ehrenamtlichen und der Verwaltung nötig ist. Neben der technischen Umsetzung ist insbesondere das betriebliche Management von Planung, Umsetzung und Kontrolle der Maßnahmen mit hohen Aufwendungen verbunden. Die angebotene Naturschutzberatung für Landwirte in Brandenburg bietet hier einen wichtigen Ansatz, durch die am Muhrgraben Brutvögel kartiert und Maßnahmen effizient entsprechend umgesetzt werden können.
Ein Wunsch der Akteure ist eine breitere Unterstützung, um den gesellschaftlich geforderten Natur- und Artenschutz zu meistern. Eine kontinuierliche Finanzierung des Mehraufwandes ist hierbei unerlässlich. Das würde auch dazu beitragen, Lungen-Enzian und andere seltene Arten in der regionaltypischen Kulturlandschaft zu erhalten.
Über das Projekt
Das Modellprojekt Naturschutzberatung Brandenburg wird von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) e. V. in Kooperation mit dem Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL), dem Landesamt für Umwelt (LfU) und Landwirtschaftsbetrieben durchgeführt. Fünf Demonstrationsbetriebe Naturschutz (Biohof Betula, Gut Kienberg, Landwirtschaftsbetrieb Domin, Moorhofer Grünlandhof, NaturKonkret – Großtrappenhof) vermitteln im Rahmen des Projekts Wissen und Erfahrungen und stehen Interessierten für Besuche offen.
Das Projekt „Entwicklung, Erprobung und Evaluierung eines übertragbaren Modells einer einzelbetrieblichen Naturschutzberatung im Land Brandenburg“ wird durch das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums gefördert.
Kontakt
Christina Menne – Projektleitung Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg e.V. (FÖL)
Marienstraße 19-20
10117 Berlin
Tel.: 030 284824-23 Fax-48
E-Mail: c.menne@foel.de
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